Wie geht es dir während der Coronakrise?

Also, ich mache es so: Ich führe eine frische Maske mit mir herum, falls ich darauf hingewiesen werde, aber freiwillig trage ich sie nicht. In meiner Wohnung stapeln sich Bücher, seit mein Tagesrhythmus so aussieht: Zwei Stunden lesen, drei Stunden schlafen. Ich lese zur Betäubung, esse zwischendurch Delikatessen und es ist mir herzlich angenehm, dass sich meine festen Termine in Luft aufgelöst haben.

 

Wenn man im Park spazierengeht, sieht man keine Masken. Viel öfter spucken manche um sich her und unter Bekannten trinkt man auch aus einer Flasche. Die Gastronomie ist unerbittlich geschlossen. Ein Bier, eine Tasse Kaffee und ein Brötchen in einem geschlossenen Raum gesellig einzunehmen, ist nicht nur verboten, sondern tatsächlich unmöglich. Das Motto „Zuhause bleiben“ kommt meinem Phlegmatismus entgegen. Ich habe ständig Appetit auf Fleisch und habe reichlich Steaks und Schinken mit und ohne Brot gegessen. Dazu musste ich vorher rausgehen. Es war extrem billig.

 

Was alles verboten ist. Manchmal möchte ich mich mit jemandem küssen oder schmusen oder ausgiebig die Hände schütteln. Vom Händewaschen halte ich auch nicht viel. Nach meinem frühen Bad rühre ich keine Seife mehr an. Ich glaube, man will uns die Dienstleistungsgesellschaft madig machen und die einfache Regel: Für etwas Konsum kriegt man einen Sitzplatz.

 

Gestern, Donnerstagsabend, konnte man lautes Geklatsche vom gegenüber- liegenden Balkon vernehmen. Die Gesellschaft klatscht sich selber Beifall. Es ist spannend, in etwas Öffentliches einbezogen zu werden. Einen Abend später habe ich wieder dieses rätselhafte Geklatsche von den Balkonen in der einbrechenden Nacht gehört. Die Nachbarschaft drückt sich aus nach dem Motto: „Es darf auch getanzt werden.“ Wenn man nirgendwo mehr einkehren darf, geht man in die Parkanlagen. In dem Park, den ich aufsuche, herrscht exzessive Bettelei. Drogendealer schleichen dicht an dir vorbei. Polizeialarm und Kreissägengeräusche unterbrechen das Ganze – den Frieden störend.

 

Als ich endlich wieder allein war, versuchte ich, wie der heilige Franziskus den Vögeln zu lauschen. Beobachtete, wie sie sich annähern und entfernen. Aber immer wieder kreischte diese Kreissäge dazwischen. Nur sehr eigenwillige Vögelein trauten sich daraufhin noch zu antworten.In meiner Wohnung blühen tiefrote, purpurne Pfingstrosen, weil ich im Frühling Geburtstag habe. Meine Schwester ist der Meinung, es gäbe gar kein Corona, sondern es wäre eine Hetzideologie gegen Russland und China, die angeblich daran Schuld sein sollen. (Laborunfall mit einer entflohenen Fledermaus und anschließendem menschlichen Kontakt, der zu einer nicht reversiblen Lungenschädigung führte.)

 

Ich muss auch sagen, dass ich in meinem ganzen Bekanntenkreis keinen habe, der auch nur im Entferntesten davon betroffen ist. Genauso verhält es sich in ganz Moabit. Mir ist nur gerüchteweise zugetragen worden, hier sei Corona ausgebrochen. Wenn man entsetzlicherweise davon ausgehen will, der ganze Medienrummel sei Betrug, dann findet man in der Öffentlichkeit dafür manche Anzeichen. Auf jedem Fall sind feuchtfröhliche Besäufnisse strengstens untersagt.

 

An einem großen Edeka stehen die Leute in langen Schlangen, Straßenzüge weit. Gestern Abend hörte ich beim Sonnenuntergang schwaches Geklatsche. Es findet immer Punkt 21 Uhr statt. Inzwischen haben wir vorm Rathaus, mit einer einen halben Meter langen Zange überreicht, je zwei blaukarierte Stoffmasken bekommen. Sie haben lange Bänder, die man hinter den Ohren verknüpfen kann. Wenn ich die Maske über der Nase trage, bekomme ich keine Luft.

 

Dass der Coronavirus von Fledermäusen stammen soll, belustigt mich sehr. Es entsteht die ganze Welt Graf Drakulas mit Vampiren, einem angespitzten Holzdolch, Knoblauch, Kreuz, tiefer dunkler Nacht und Blut. Eine richtige Verschwörungstheorie!

Von meiner älteren Schwester weiß ich, dass sie einen neuen Lebenssinn im Kampf gegen Corona gefunden hat. Nach ihrer Theorie werden wir alle von den Reichen verarscht, die an der Menschheit Massenimpfungen durchführen wollen. Die Maskenpflicht nennt sie eine Unterwerfungsgeste.

 

Neulich durfte ich mich persönlich für die Maskenfreiheit einsetzen, in dem ich meiner Einzelfallhelferin ein vernünftiges Gespräch verweigerte, weil sie partout die Maske aufbehielt. Dazu trug sie transparente Handschuhe, die irgendwie eklig aussahen. Ich zwang sie, meinen schlechten Charakter bedauernd, wegzugehen, ohne zu wissen in welche Richtung. Später versprach sie mir, die Maske im Gespräch nicht zu tragen. Ich hatte sie auch etwas gefoltert, indem ich auf ihre Ergüsse oftmals mit „Wie bitte?“ und kurz angebunden nur immer antwortete: „In wie fern?“, „Warum?“ oder „Wann?“, was mir viel Spaß machte.

 

Also mit der Maske kann man nicht essen und trinken, geschweige denn rauchen. Trittst du mit ein in die Liga für Maskenfreiheit und einen freundlichen Händedruck, damit man nonverbal feststellt, mit welchem Temperament man es zu tun hat? Verzeih bitte, dass ich erst jetzt schreibe und danke für dein Dasein und den Kontakt.

(Susanne)