Ein prominentes Opfer - Lesetext

Seit zwei Jahren hatte ich einen Job. An der Ecke Fifth Avenue und 42nd Street musste ich Zeitungen verkaufen. Das brachte ein paar Dollar. Jeden Tag ging ich um fünf Uhr hin, sperrte um halb Sechs auf und dann ging es richtig los.

Passanten, Arbeiter, Pendler und Rentner waren die Kunden.

Ich war meistens freundlich und die Kunden auch.

So verging die Zeit. Manchmal verkaufte ich auch Filterkaffee oder Snickers. Manchmal schien die Sonne, manchmal nicht.

Und dann kam dieser Typ: weißes Haar, ein aufgeschwemmtes Gesicht, speckige Kleidung, die ehemals gut gewesen sein musste. Fast sah er nach einem Börsenhändler aus. Nur in dreckig.

Wenn Sie mich fragen: Der Typ war durch mit dem Leben.

Aber den Kaffee konnte er bezahlen.

Zeitung las er nicht. Darauf angesprochen, sagte er: „Lügenpresse! Alles Lügenpresse!“

Die anderen Obdachlosen hier nannten ihn „Presidente“.

Es schien mir ein Scherz zu sein.

Der „Presidente“ hatte manchmal Tobsuchtsanfälle. Er schrie: „Eine Mauer müsste man bauen!“

Die Anderen lachten, wichen aber zurück.

Ich verstand es erst nicht.

Wenn er gut drauf war, sagte er: „Ich mache Euch alle wieder groß!“

Ein Kunde versuchte es mir zu erklären. Mein Englisch war zu schlecht.

Er sagte: „Prominent.“ Ich: „In der Zeitung?“

Er: „Der President.“ Ich: „Joe Biden?“

Er: „Vor zwei Jahren?“ Ich: „Da habe ich noch nicht hier gearbeitet.“

Er nahm einen letzten Anlauf, sprach von "Trump". Ich wusste, dass das im Deutschen "Trumpf" bedeutete, wollte aber nicht Karten spielen, und schüttelte den Kopf. Mann! Damals war ich echt nicht auf der Höhe.

Dann musste er zur Arbeit.

Ich verstand mich gut mit dem Obdachlosen. Doch nach einem Jahr brachten sie ihn wegen seinem Geschrei - er hatte wieder einen Tobsuchtsanfall - ins Krankenhaus, oder ins Gefängnis - ich weiß ja nicht, ob er krankenversichert war.